Sonntag, 6. Juli 2014

Ein Rückblick



Ich habe ein weiteres, wichtiges Etappenziel in meinem Leben erreicht, so dass es nun an der Zeit zu sein scheint, einmal innezuhalten und auf die letzten Jahre zurückzublicken.

Es begann ganz harmlos
Einer der --  wie sich später herausstellte --  wichtigsten Tage in meinem Leben verlief  ganz unspektakulär und endete wie so viele davor und danach vor dem Fernseher. Es war der 25. April 2006, ein Dienstag, und damit bot sich das TV-Programm des WDR mit der Sendung „Quarks & Co.“ an. Das Thema lautete: Autismus.
Der Bericht traf mich völlig unvorbereitet. Ich hatte mehrfach spontan das Gefühl: „Reden die über mich?!“ Viele der geschilderten Eigenheiten und Einschränkungen kannte ich gut, denn mir ging es ja Zeit meines Lebens nicht anders. Nun gut, ich kannte zwar bei meiner Ernährung keine Fixierung auf Kohlprodukte; aber andere Dinge wie Einschränkungen bei sozialen Kontakten oder stark ausgeprägte Spezialinteressen dagegen sind mir sehr vertraut.
Schon am Tag darauf begann ich, intensiv im Internet zu recherchieren, und es dauerte nicht lange, bis ich einschlägige Themenforen fand, in denen ausführlich diskutiert wurde. Bald darauf lernte ich auch einige Menschen persönlich kennen, die sich genauso wie ich im autistischen Spektrum wiedererkannten. 

Ein erster Versuch
Naiv wie ich damals war, glaubte ich, mit dieser meiner persönlichen Gewissheit auch einen Fachmann überzeugen zu können. Dieser Versuch im Juli 2006 geriet zum Fiasko: Innerhalb einer Sitzung machte mir dieser Facharzt klar, warum nicht sein könne, was nicht sein darf. Ich hätte – wenn es denn so wäre – besondere Auffälligkeiten bereits im frühesten Kindesalter zeigen müssen. Bei Kindern und Jugendlichen kommt das Asperger Syndrom vor; bei Erwachsenen nicht. Punktum.
GruppentreffenMit dieser offensichtlichen Diskrepanz vor Augen ging ich zunächst einmal  meiner Wege. Das hielt mich aber nicht davon ab, mich ehrenamtlich im Bereich der Aufklärungsarbeit (die offenkundig notwendig war) zu engagieren.
Im Februar 2007 wagte ich einen erneuten Versuch und wandte mich an einen anderen Fachmann. Welch ein Unterschied: Man nahm mich und mein Problem ernst, es wurden psychologische Tests durchgeführt und es lag sehr bald ein Ergebnis „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ vor. Erneut brach meine Naivität durch, und ich stellte mit diesem Ergebnis bewaffnet einen Antrag beim  zuständigen Landesamt für Soziale Dienste (LAsD). Das Ergebnis: Ein Grad der Behinderung (GdB) von 20 wird festgestellt. 

Vereinsmeierei
 Zu diesem Zeitpunkt gab es einen noch jungen Verein, der in Ermangelung von Unterstützern und Mitarbeitern kurz vor dem Ende stand. Zuspruch von mehreren Seiten gab mir den Mut, mich für die Aufgabe zur Verfügung zu stellen, und so wurde ich 2008 in den Vereinsvorstand gewählt. 
VeranstaltungHochfliegende Pläne wurden gemacht, es wurden Projekte angestoßen und fleißig neue Mitglieder geworben. Im März 2009 reiste eine kleine Delegation ins Vogtland, um den Verein auf einer deutschlandweit erstmaligen Tagung zu vertreten; im März 2010 konnte diese Veranstaltung unter dem Titel „2. Autismustag“ sogar in meiner Heimatstadt durchgeführt werden. Dazwischen fanden immer wieder Treffen statt, so z.B. bei einer Tagung  des Vereins Autismus Deutschland e.V. in Bielefeld.  Auch an der Gründung einer Genossenschaft, die sich mit dem Thema Autismus  befasst, bin ich mitbeteiligt. Im April 2011, nach Ablauf meiner satzungsgemäßen Amtszeit, beendete ich meine Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender des Vereins und übergab die Verantwortung  in andere Hände. 

Noch ein Anlauf
Während alle diese Dinge sich entwickeln,  gab ich selbst die Hoffnung nicht auf und suchte einen weiteren Fachmann  auf (ja, noch einen). Erneut stand auch diesmal sehr schnell ein klares Ergebnis fest. Im Januar 2009 stellte ich also erneut einen Antrag. Dieses Mal kam man zu dem Ergebnis, mir einen GdB von 40 zuzuerkennen.  -- Knapp am Ziel vorbei vorbeigeschrammt.  Also versuchte ich, mit Hilfe des Sozialverbandes Deutschland  (SoVD) dagegen anzugehen.  Es kam zum gerichtlichen Verfahren, in dem ein Gutachter beauftragt wurde. Er kam im März 2010 u.a. zu dem Ergebnis: Das Asperger Syndrom im Erwachsenenalter sei in der ICD-10 (Auflage 2008) „nicht aufgeführt“. Der SoVD legt mir nahe, die Klage zurückzunehmen.  Es bleibt also alles so, wie es ist.
Das Leben wird aber dadurch nicht gerade leichter. Die Probleme, die ich gelernt hatte zu erkennen, wuchsen mir langsam aber sicher über den Kopf. Nachdem ich feststellen musste, dass auch die wenigen sozialen  Kontakte, die ich während meiner Tätigkeit im Verein und in der Selbsthilfegruppe knüpfen konnte, mehr und mehr einzuschlafen drohten, versuchte ich es im November 2012 mit einer regelrechten Psychotherapie. Diese Therapie kam aber über die 5 probatorischen Sitzungen nicht hinaus, denn es konnte kein „gemeinsamer Nenner“ gefunden werden. 

Tempus fugit
Was bleibt zu tun, wenn man das Gefühl hat, die Probleme werden immer größer, aber es ist keine Lösung in Sicht?! Nachdem ich meine Vereinstätigkeit eingestellt hatte und auch die Treffen der Selbsthilfegruppe für mich scheinbar keinen Sinn mehr ergaben, machte ich den mir einzig logisch erscheinenden Schritt und wagte im März 2014 noch ein weiteres Mal einen therapeutischen Neuanfang. Für mich schloss sich dabei ein Kreis, ich war an derselben Stelle, die ich auch beim ersten Mal aufgesucht hatte; aber es war eine andere Ärztin. Diesmal aber begann ich das Gespräch mit einer klaren Vorgabe, nämlich dem Wunsch nach einer gesicherten Diagnose und mit zwei Fragen: Trifft es zu, dass bei mir das Asperger Syndrom vorliegt; wenn aber nicht, was ist es dann?
KindheitDieser Ärztin nun endlich gelang es, die richtigen Fragen zu stellen, mir aufmerksam zuzuhören und die wenigen Details, die ich aus meiner eigenen Kindheit zusammenstellen konnte, in den richtigen Kontext zu bringen. Ein weiteres Mal kam es zu einer recht eindeutigen Diagnose. Die einzige Einschränkung, die blieb, war der Tatsache geschuldet, dass die Informationen aus meiner Kindheit (die ja nun schon mehr als vierzig Jahre zurückliegt) leider in manchen Punkten unvollständig blieb. Das aber, was vorhanden und auch belegbar war (so unter anderem meine Schulzeugnisse), reichte für ein klares Bild aus. 

Dem musste sich auch das LAsD anschließen. Dort kam man recht schnell, nämlich schon im Juni 2014, zu dem Ergebnis: Ein GdB von 50 wird festgestellt.