Samstag, 15. Juni 2013

Fachleute … verzweifelt gesucht



Unter diese Überschrift – in Anlehnung an den Titel einerUS-Filmkomödie – möchte ich folgenden Beitrag setzen. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, so würde ich mir wünschen, eine Person zu finden, auf die folgende Beschreibung passt, welche  ich einfach mal gedanklich in die Form eines Stellenangebotes gepresst habe


Gesucht wird:   ein( e) Mediziner( in). Alter egal, im Raum Schleswig-Holstein ansässig.

Einzige Bedingung zu Vorkenntnissen: Die Arbeiten von Hans Asperger, Lorna Wing, Tony Attwood und anderen  müssen gelesen – und inhaltlich verstanden worden sein.

Profil: Ein Stellenbewerber (m/w) sollte in der Lage sein, auch und vor allem bei Personen, die bereits das Erwachsenenalter erreicht haben, anhand einer seriösen Differentialdiagnostik das Vorhandensein einer autistischen Störung im Sinne eines Asperger-Syndroms bestätigen – oder ausschließen zu können.

Dazu wird es von Fall zu Fall erforderlich sein, bereits vorhandene medizinische Unterlagen auswerten und für eine tiefergehende Diagnostik verwenden zu können – oder aber diese im Fall einer zu befürchtenden Fehldiagnose auch einmal komplett zu ignorieren und eine neue Diagnostik „von Null an“  aufzubauen. Dies voneinander zu unterscheiden wird im Einzelfall schwierig sein, denn es wird Patienten geben, die bereits eine lange Odyssee hinter sich haben und von Arzt zu Arzt weitergereicht wurden; andere aber, die zeit ihres Lebens unauffällig waren, haben bisher noch keinerlei Arztkontakt gehabt. Es ist aber durchaus nicht auszuschließen, dass die Symptome bei beiden dieselben sind und daher zu derselben Diagnose führen müssten. In jedem Fall aber kommt es darauf an, die richtigen Fragen zu stellen und durch ausführliche Gespräche zu einer möglichst gesicherten Abgrenzung zu anderen psychischen / psychosomatischen Beschwerden zu gelangen. Dabei darf nicht vergessen werden: Patienten mit einem solchen Diagnoseverdacht mögen irritiert sein, sie mögen eigenbrötlerisch sein und gelten oft als Außenseiter der Gesellschaft – aber sie sind nicht dumm. Daher muss man davon ausgehen, dass sie bereits vor dem Erstkontakt zum Therapeuten sich ausführlich mit der Materie befasst und sich in die öffentlich verfügbaren Texte eingelesen, vielleicht auch schon den einen oder anderen Selbsttest im Internet absolviert oder eine Selbsthilfegruppe (SHG) besucht haben und daher zumindest einen „begründeten Selbstverdacht“ mitbringen.

Es wird weiterhin erwartet, dass der / die Stellenbewerber( in) den Umgang mit technischen Hilfsmitteln (Internet, E-Mail, SMS usw. ) sicher beherrscht. Es ist mittlerweile in einschlägigen Kreisen bekannt, dass Aspies bzw. Verdacht-Aspies dazu neigen, solche modernen Kommunikationsmittel intensiv zu nutzen, teilweise als Ersatz bzw. Ausgleich für das (ungern genutzte, oft verhasste) Telefon. Eine Möglichkeit der Erst-Kontaktaufnahme per E-Mail oder über ein Kontaktformular auf einer Internetseite wird hingegen gern genutzt. Nach erst einmal erfolgter Kontaktaufnahme ist eine spätere weitere Kommunikation per Telefon aber keineswegs ausgeschlossen.

Wichtig dabei ist aber immer, Terminabsprachen konkret zu planen und vereinbarte Termine auch auf jeden Fall unbedingt verbindlich einzuhalten. Der Weg bis hierhin ist für den Patienten in jedem Fall von Anfang an mit einer großen Überwindung verbunden und stellt eine Abweichung von dem selbst gewählten Tagesablauf, somit eine hohe Belastung dar. Die Planung eines solchen Termins muss gedanklich in den Tagesablauf integriert werden, die An- und Abreise will geplant sein und natürlich sorgt der Gesprächstermin selbst auch für einige sorgenvolle Gedanken. In einer solchen Situation ist es hilfreich, wenn der Termin möglichst exakt festgelegt werden kann (ohne lange  Leerlaufzeiten in einem Wartezimmer, womöglich mit anderen Patienten). Notwendige Terminänderungen, z.B. einem Krankheitsfall, sollten so früh wie nur irgend möglich mitgeteilt werden (siehe moderne Kommunikationsmittel).

Was wird geboten?   Bei vorliegender Eignung des Bewerbers kann dieser davon ausgehen, dass es im gesamten norddeutschen Raum zu einem regelmäßigen Zustrom von Patienten kommen wird, denn die Zahl der Verdacht-Aspies wird nicht geringer, sondern nimmt ständig zu. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendjemand eine Dokumentation im Fernsehen sieht, einen Artikel in einer Tageszeitung liest oder auch nur das Outing seines Lieblingsschauspielers vernimmt, sich darin selbst wiedererkennt  -  und kurz darauf findet dieser Mensch sich in einem der einschlägigen Internet-Themenforen wieder mit dem Satz „bin auch ich betroffen?“ Früher oder später gelangt er zu der Selbsteinsicht – oder wird mehr oder weniger sanft darauf hingewiesen: „Geh zu einem Spezialisten und lass dich diagnostizieren!“ Solch einen Spezialisten zu finden wird aber zu der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Adressen von spezialisierten Fachleuten sowie von Therapiezentren und Autismus-Ambulanzen werden zuhauf im Internet ausgetauscht. Leider aber sind sie noch viel zu selten – und daher sehr häufig völlig überlastet. Das führt dazu, dass z.B. Patienten aus dem Raum Schleswig-Holstein auch schon mal an eine Adresse in Köln verwiesen werden. Anderen werden Wartezeiten von mehreren Monaten in Aussicht gestellt, oder es wird gar eine Behandlung wegen Terminüberlastung gänzlich abgelehnt. Dies ist natürlich für den Patienten weder hilfreich noch tröstlich. Ein Ausweichen zu einem Therapeuten, der nicht ausdrücklich auf die Diagnostizierung von  Menschen im autistischen Spektrum spezialisiert ist, kann aber zu einer Fehldiagnose führen – und damit zum Beginn einer weiteren medizinischen Odyssee (siehe oben). Wird nun in diesen Kreisen eine neue Anschrift eines Therapeuten weitergegeben und womöglich auch mit ersten positiven Resonanzen verbunden, so ist ein Zulauf neuer Patienten beinahe „ganz von selbst“ zu erwarten.

Was wird benötigt?     Der materielle Bedarf ist eher gering. Neben der üblichen Büroausstattung (siehe moderne Kommunikationsmittel) wäre lediglich ein barrierefreies, möglichst ruhiges Beratungszimmer nötig, in dem ein Erstgespräch in entspannter Atmosphäre stattfinden kann. Die Ausstattung dieses Zimmers kann nicht nur, sondern sollte sogar möglichst schlicht gehalten sein, um eine drohende Reizüberflutung (Overload) des Patienten auszuschließen.

Zukunftsperspektiven:    Um es nochmals zu wiederholen: es geht dabei nicht um eine Der-schreibt-jeden-krank-Wunschdiagnostik, und es geht auch nicht darum, irgendeine elitäre neue Behandlungsmethode oder gar Medikamentierung zu finden. Es geht zunächst lediglich darum, eine gesicherte Diagnose zu erhalten, diese zu bestätigen - oder aber ggf. auch ebenso sicher ausschließen zu können.

Ist dies erst einmal gewährleistet, dann kann man sich – gemeinsam im Arzt-Patient-Kontakt – darüber Gedanken machen, was dies für Auswirkungen im Leben des Patienten hat, welche Hilfestellungen im privaten und / oder beruflichen Umfeld möglich, welche Veränderungen nötig und machbar sind, ob sich daraus letzten Endes eine Schwerbehinderung im gesetzlichen Sinne ergibt und was das bedeutet …  

Dies lässt natürlich auf weitere, fruchtbare Kontakte zwischen Arzt und Patient schließen. Für den Patienten steht eine echte Hilfe für seine Lebensgestaltung in Aussicht, für den Arzt ist ein langfristig gesichertes Einkommen durchaus nicht ausgeschlossen. - - Langfristig wäre es auch denkbar (und auch im Sinne der Betroffenen wünschenswert), auf dem Gebiet der Autismus-Diagnose für Erwachsene  Feldforschung zu betreiben. Hier gilt es festzustellen, ob und wie viele Personen es gibt, bei denen diese Symptome vorliegen, denen es aber durch geschickte Kompensation oderVermeidungshaltung gelingt, ihren Problemen aus dem Weg zu gehen; ebenso, wie viele es gibt, die durch Falscheinschätzung zu einer Fehldiagnose gelangten und die daher womöglich auf lange Zeit falsch therapiert oder medikamentiert werden.  -


Soviel zu meinem Wunschtraum. Ob er eines Tages Realität wird?!